Meine schlimmste Hypo

Schweißnasse Hände, Zittern, Herzrasen, taube Lippen, Schwindel... bei jedem Diabetiker äußert sich eine Unterzuckerung (Hypoglykämie) anders. Allerdings ist sie bei allen gleichsam unbeliebt.

Dass eine Hypo richtig gefährlich werden kann, lernt man schon in der ersten Schulung. Wirklich realisiert habe ich das aber erst, als es mir am eigenen Leib passiert ist. 

 

Eine Erfahrung, auf die man verzichten kann

Es war Anfang 2013 und ich arbeitete auf einer Messe als Standhilfe.

Hypo-technisch hatte ich schon einiges miterlebt, die "Krönung" war ein nicht mehr messbarer Wert (also unter 20 mg/dl), bei dem ich noch fröhlich durch die Stadt gelaufen war und mehr aus Langeweile gemessen hatte, während zwei Freundinnen in einem Laden Klamotten anprobierten. 

Auch Werte, die andere längst in die Bewusstlosigkeit beförderten, waren für mich scheinbar kein größeres Problem - nichts, worauf man stolz sein kann, allerdings war ich doch froh, dass es bisher immer so glimpflich abgelaufen war.

 

Doch dann kam sie, meine erste (und glücklicherweise bislang einzige) schwere Hypo. Hierzu muss ich sagen, dass "schwere Hypos" oftmals als solche mit Fremdhilfe klassifiziert werden, mein Maßstab hier aber mehr das persönliche Empfinden war.

Während der Arbeit auf der Messe fühlte ich mich plötzlich irgendwie zittrig und schwindelig und hatte glücklicherweise gerade nichts zu tun, sodass ich hinter einen Vorhang zu meiner Tasche gehen konnte. Aus der kramte ich mein Messgerät und testete mit zitternden Händen.

Ergebnis: 48 mg/dl. Nicht schön, aber normalerweise auch kein Wert, bei dem ich in Panik verfalle.

Ich suchte also in meiner Tasche nach Saft und Gummibärchen und noch während ich in der Tasche wühlte, passierte es:

Meine Hände fingen an, unkontrolliert zu zucken, mein Atem ging plötzlich stoßweise, es schüttelte mich bei jedem Atemzug durch. Panik kam in mir auf, das kannte ich nicht und hatte es erst recht nicht erwartet. Voller Angst, das Bewusstsein zu verlieren, schaffte ich es trotz des Krampfens meiner Hände und dem schummrigen Gefühl im Kopf, nicht umzukippen, den Saft zu finden und schnell zu trinken. Danach stopfte ich mir direkt eine Handvoll Gummibärchen in den Mund. Ich musste etwas warten, versuchte, meine Atmung zu beruhigen.
Dann ging es mir irgendwann endlich besser und ich ging wieder vor den Vorhang, nahm mir einen Stuhl und setzte mich erstmal hin.

Eine Freundin, die mit mir auf der Messe arbeitete, wurde jetzt auf mich aufmerksam und fragte, was los sei. Ich erklärte es ihr kurz, spielte dabei aber die Situation ziemlich runter und erzählte nichts von den Krämpfen. Den Rest des Tages fühlte ich mich "matschig", als hätte mein Kopf irgendwelche Schäden davongetragen, und auch am nächsten Tag war ich noch leicht benebelt.

 

Was war passiert?

Das war die Frage, die ich mir auch danach noch oft stellte.

Ich hatte 48 mg/dl gehabt- ein Wert, der damals bei mir durchaus mehrfach im Monat vorkommen konnte und der mir nie derartige Probleme gemacht hatte (ohne jetzt den Wert verharmlosen zu wollen - heute ist das keineswegs mehr an der Tagesordnung).

Was diesmal dazukam, war wohl einerseits das extrem schnelle Abfallen des Blutzuckerspiegels und andererseits die sehr schlechte Luft auf der an diesem Tag überfüllten Messe. Mein Kreislauf hat da wohl sein Übriges getan.

 

Die "Erklärung" ist also gefunden, trotzdem bleiben auch heute, über drei Jahre später, noch Fragen.

Und zwar in erster Linie die zentrale Frage: Wieso habe ich nicht anders reagiert?

Man lernt doch, bei entsprechenden Symptomen erst zu essen und dann zu messen. Warum hatte ich nicht als erstes zum Saft gegriffen?

Wieso habe ich nicht schon eher bemerkt, dass ich zu niedrig bin?

Und vor allem: Wieso habe ich mich in dieser gefährlichen Situation auch noch hinter einem Vorhang verkrochen, anstatt direkt jemandem Bescheid zu sagen?

Zumindest auf letztere Frage konnte ich leider eine Antwort finden: Es war mir unangenehm. Normalerweise ist mir beim Diabetes absolut nichts peinlich, weder öffentliches Messen noch Spritzen. Aber zugeben, dass ich in einer Situation hilflos war, die Kontrolle verloren hatte - das wollte ich nicht. Ich wollte niemanden beunruhigen, kein Mitleid, niemandem zur Last fallen, und auch nicht das Gefühl vermitteln, ich hätte den Diabetes nicht im Griff.

Dass mein Stolz an dieser Stelle völlig deplatziert war, weiß  ich natürlich genau. Dennoch kann ich nicht mit Sicherheit sagen, ob ich in einer ähnlichen Situation nicht wieder so reagieren würde, obwohl ich es besser weiß. Der Gedanke, die Kontrolle zu verlieren und komplett auf die Hilfe anderer Leute angewiesen zu sein, beunruhigt mich immer noch.

Daraus entwickelt hat sich ein ziemlicher Blutzucker-Mess-Wahn, über den ich hier an anderer Stelle sicher auch noch einmal berichten werde.

 

Wie sind eure Erfahrungen mit Hypos? Wie oft treten sie bei euch im Schnitt auf und machen sie euch auch immer ein wenig Angst?
Hattet ihr schon Unterzuckerungen mit Fremdhilfe oder ist euch das bisher erspart geblieben? Kennt ihr das Gefühl, eigentlich sehr niedrig zu sein, es aber nicht zu merken, bzw. umgekehrt, schon bei einem weniger niedrigen Wert extreme Symptome zu haben?

Ich freue mich auf Kommentare!

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Kommentare: 5
  • #1

    Petra (Freitag, 23 September 2016 07:54)

    eines nachts bin ich aufgewacht weil die Stimmen in meinem Kopf so laut waren und mich einfach nicht schlafen ließen ich öffnete die Augen und sah schoene bunte Kreise nach einiger Zeit dachte ich ueber die Ursache nach und kam auf die Idee den bz zu messen, 28. Ich steh auf und taumel in die Küche finde meinen lebensretter ein 500gr Nutella. Am nächsten Morgen wache ich auf und sehe ein Schokoladen verschmiertes Kopfkissen und im Spiegel mein Gesicht das nicht besser aussieht. in der Küche steht ein leeres Nutella Glas. Und auf meinen Nachttisch der unbenutzte Traubenzucker. Ich habe seitdem kein Nutella mehr gekauft

  • #2

    Boris Schlüter (Freitag, 23 September 2016 10:54)

    bevor überhaupt die GCM auf dem Markt war , ist das so gewesen, dass die ersten Anzeichen vom UZ von mir mit in den Traum eingebaut wurden. Meist waren es dann ausweglose Situationen die sich zuspitzen, wie eben auch so ein Hypo für den Körper sich zuspitzt. An eine Traum kann ich mit erinnern, bei dem ich in einem Fahrstuhl war und die Metalltür sich im gewünschten Geschoss öffnete. Aber es war kein Flur, oder Foyer zu sehen, was ich erwartet hätte,, sondern eine weitere Metalltür. Diese Metalltür öffnete sich zwar, aber es war dahinter noch eine Metalltür usw. usw...

    Diese Hypos habe ich nicht mehr gemessen, da ich nicht mehr messen konnte. Meist war das gesamte Bett dann an der Liegestelle durchnass und gehen konnte ich teilweise auch nicht mehr, nur noch auf allen "Vieren" krabbeln. Die dann folgenden Kohlenhydrahtorgien fielen dann bis zum Fassungsvolumen des Magens aus und trotzdem ich (aus Erfahrungswerten) dann 30 Minuten später bis zu 15 IE/Kurzzeit gegeben habe, waren die Nüchternwerte dann über 400mg/dl. ..Gesund war das wohl nicht!
    Die GCM, die ich mir noch vor dem Sozialgericht im Jahr 2010 erstreiten musste, hat mir wirklich sehr geholfen: Ein Warnton weckt mich bei einem Wert unter 80mg/dl und ich kann seidenweich mit ein paar Schlucken Traubensaft "abfangen".

  • #3

    Lois (Dienstag, 22 November 2016 00:48)

    Deine Beschreibung dieses Hypos kann ich voll und ganz nachvollziehen. Ich bin nun seit 55 Jahren Typ 1 Diabetiker und habe schon eine Menge von solchen Erlebnissen hinter mich gebracht. Nicht alle in gerade dieser Form, doch die Unterschiede gerechtfertigen in keiner Form irgend einer Entschuldigung. Doch ich kann Dich gut verstehen. Man teilt sich Anderen nicht mit, greift nur allzu ungern zur reinem Zucker (hat man ja gelernt diese mittel NIE zu nehmen), früher hatte ich sogar mehr oder weniger Lust auf Hypos, denn dann darf man ja auf alle Süssigkeiten , die mit einem Mal Mittel zur Therapie wurden zurückgreifen,

    Gerne würde ich mich telefonisch mit Dir unterhalten wenn Du mir Deine mail-Adresse oder Telefonnummer mitteilen würdest! Ich bin in Österreich in den Alpen zu Hause und würde mich über eine Antwort von Dir freuen!

    Liebe Grüße, Lois!

  • #4

    Caro (Dienstag, 22 November 2016 12:26)

    Hallo Lois,

    ich bin erreichbar unter der auch auf dieser Homepage angegebenen Adresse extrasuess.blog@gmail.com.

    Liebe Grüße
    Caro

  • #5

    Mark (Montag, 21 Mai 2018 15:16)

    Hallo Caro

    Genau deswegen bin ich gerade beim einstellen in Bad Mergentheim. Musste ziemlich lange nur Basal spritzen und da war eigentlich, wie ich dachte, alles unter Kontrolle... Die erste Hypo hatte mich erwischt als ich alleine war, mal eben nach Hilfe rufen war nicht. Anstatt gleich zum Telefon zu greifen um meinen Junior zu verständigen passierte mir exakt das gleiche wie Dir, der Gedanke das irgendwie selber zu regeln und niemanden zur Last zu fallen. Erst als wirklich nicht mehr ging, dann doch mit aller letzter Kraft jemand zu verständigen.... Blöße geben... Was für ein Bulls... Hinter war ich schlauer.
    Nach einigen weiterer Hypos, heftigere und leichte, hab ich mich selbst in eine Angst gesteuert und deshalb natürlich alles falsch gemacht und die Werte eher hoch gehalten, auch Mist!
    Naja, nachdem Hilfe da war ging es dann los, Munchies! Über die Werte danach will ich hier nicht reden, schon gar nicht über die Tage danach...
    Dein Blog ist was älter, und hoffe Du hattest seitdem keine Mehr, die Dinger braucht man wirklich nicht!

    LG
    Mark